Dies ist der vierte von sechs Teilen meiner Artikelserie über nachhaltige Software. Der vorige Teil findet sich hier, der erste hier.
Wie ich im vorigen Teil ausführte, grenzt die Vorauswahl der Technologie das Feld möglicher Lieferantinnen ein. Ist eine Vorauswahl der Technologie also getroffen, kann eine Ausschreibung des Projektes erfolgen. Wenn es sich nicht um ein ganz kleines Projekt handelt, ist die Ausschreibung ein mehrstufiger Prozess. Traditionell wurde zunächst ein detailliertes Lastenheft erstellt, dieser Ansatz hat sich jedoch als nicht optimal herausgestellt.
Der Auswahlprozess
Ein Ausschreibungsprozess kann heute z.B. so aussehen: Es wird eine Vorauswahl potentieller Lieferantinnen getroffen. Mit jeder potentiellen Lieferantin werden folgende Schritte ausgeführt:
- Kontaktaufnahme
- Erläuterung des Grobplanes für Technikerinnen der Lieferantin
- Ggf. Klärung von Rückfragen
- Vorstellung eines technischen Umsetzungsplanes durch Technikerinnen der Lieferantin und eines Budgetplanes durch Managerinnen der Lieferantin
Danach werden alle Lieferantinnen nach unterschiedlichen Kriterien verglichen. Der Preis ist ein Kriterium aber nicht unbedingt das ausschlaggebende. Unter anderem ist der Preis nur eine Indikation des Mindestpreises der Erstellung. Die Auftraggeberin sollte bestrebt sein, das langfristige Kosten-Nutzen-Verhältnis zu optimieren. Der von der Lieferantin genannte Preis ist lediglich eine Untergrenze für die Hälfte der Kosten. Die andere Hälfte der Kosten (oder mehr) fällt voraussichtlich im Betrieb an und der erwartete Nutzen kann sich abhängig von der Lieferantin ebenfalls stark unterscheiden.
Die Höhe der Betriebs- und Wartungskosten der Software hängen von der konkret von der Lieferantin vorgeschlagenen Technologie ab. Der erwartete Nutzen kann z.B. bezüglich der künftigen Erweiterbarkeit abgeschätzt werden, je nachdem wie systematisch/analytisch sich die Lieferantin präsentiert hat und welche Technologien vorgesehen sind. Der kommerzielle Wert eines Endnutzerinnenproduktes wird auch davon abhängen, wie gut die Lieferantin im User Experience Design aufgestellt ist, und wie er sich diesbezüglich präsentiert.
Sowohl Kosten als auch Nutzen werden auch davon abhängen, wie gut die Kommunikation mit der Lieferantin verläuft. Die Kommunikation zwischen Auftraggeberin und Lieferantin ist bei der Erstellung eigener Software absolut kritisch. Sie berührt, ja bestimmt alle Aspekte des Erstellungsprozesses und seines Ergebnisses und ist daher ein weiterer wichtiger Punkt in der Lieferantinnenauswahl.
Alle Lieferantinnen werden also nach einer ganzen Reihe von Kriterien bewertet und verglichen. Auf dieser Basis wird eine Lieferantin für die Umsetzung ausgewählt. Im nächsten Teil dieser Artikelserie wird erörtert, worauf bei der Entwicklung selbst zu achten ist, um ein nachhaltiges Resultat für die Auftraggeberin zu erzielen.
Agenturen, Freiberufler, Offshore
Bei der Vorauswahl potentieller Lieferantinnen können unterschiedliche Optionen in Erwägung gezogen werden. Wie ich oben erörterte, ist die Kommunikation zwischen Auftraggeberin und Lieferantin von zentraler Bedeutung. Sie ist auch ein zentraler Faktor in der Vorauswahl. Als Standardoption für Softwarelieferantinnen kann eine deutsche Medien- oder Softwareagentur gelten. Diese zeichnen sich i.d.R. durch optimierte Kommunikation zwischen Auftraggeberin und Lieferantinnenmanagement aus. Eine deutsche Agentur spricht die Sprache einer deutschen Auftraggeberin.
Es ist aber zu beachten, das das letztlich Ausschlaggebende die Kommunikation zwischen künftigen Nutzerinnen der Software und ihren Entwicklerinnen ist. Das Management ist oft dazwischen geschaltet, und teils werden vor die Nutzerinnen noch spezielle Rollen wie User Experience Designerin, Requirements Engineer oder Product Owner gesetzt. Stille Post macht Kommunikation nicht unbedingt besser (obwohl das in der Softwareentwicklung auch nicht ausgeschlossen ist).
Daher ist es für Auftraggeberinnen ein Pluspunkt, wenn sie schon im Auswahlprozess direkt mit den künftigen Entwicklerinnen kommunizieren können. Dies wird z.B. der Fall sein, wenn statt mit einer Agentur mit Freiberuflerinnen gearbeitet wird. Die am besten qualifizierten Entwicklerinnen (sowohl in der Entwicklung von Software als auch in der Kommunikation mit Nicht-Technikerinnen) arbeiten oft als Freiberuflerinnen. Auch spart man in der direkten Zusammenarbeit mit Freiberuflerinnen die Aufschläge, die Agenturen für ihren eigenen Overhead und Gewinn berechnen müssen.
Aber das Risiko für die Auftraggeberin erhöht sich auch, wenn sie ein eigenes Team aus Freiberuflerinnen zusammenstellt. Dieses Team muss seine eigenen Prozesse neu entwickeln, und es kann persönliche Inkompatibilitäten zwischen Mitwirkenden geben. Ein solcher Ansatz ist nur empfehlenswert, wenn die Auftraggeberin über hinlängliche Erfahrung in der Umsetzung von Softwareprojekten verfügt.
Eine weitere Option ist der Einsatz von Agenturen aus anderen Ländern, z.B. aus Osteuropa oder Indien. Eine Entwicklung mit Osteuropäerinnen kann qualitativ gleichwertige Ergebnisse bei einem etwas günstigeren Preis erzielen als eine vergleichbare Entwicklung in Deutschland. Die kulturellen Unterschiede sind überschaubar und das Qualifikationslevel oft ähnlich. Es werden aber sehr wahrscheinlich Abstriche in der Kommunikation in Kauf genommen werden müssen – mit allen Konsequenzen. Daher muss sich eine solche Option auch in signifikanten Ersparnissen niederschlagen.
Bei der Entwicklung von Software für den (deutschen) Endnutzerinnenmarkt würde ich mindestens die User Experience in Deutschland entwickeln lassen. Bei osteuropäischen Lieferantinnen würde ich solche bevorzugen, die Erfahrung in der Zusammenarbeit mit deutschen Kundinnen haben.
Das Kostengefälle noch weiter nach Osten (nach Indien) ist potentiell geringer als das zwischen Deutschland und Osteuropa. Die kulturelle Barriere ist aber sehr hoch und der Qualifikationsunterschied kann ebenfalls größer sein. Eine Zusammenarbeit mit indischen Entwicklerinnen sollte ausschließlich in Erwägung gezogen werden, wenn die Auftraggeberin über umfangreiche Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Indien verfügt. Andernfalls wird es fast zwangsläufig zu potentiell teuren Missverständnissen kommen.
Ist die Lieferantinnenauswahl getroffen, geht es an die Entwicklung der eigenen Software. Worauf Auftraggeberinnen hier achten sollten, wird im nächsten Teil dieser Serie besprochen.